Josephine Ann Endicott
Informationen
1973 bis 1987 | Mitglied des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch |
Seit 1994 | Gasttänzerin beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch |
Auszeichnung mit dem Chevalier de l‘Ordre des Arts et des Lettres | |
Auszeichnung mit dem „Officier de L’Ordre des Arts et des Lettres“ |
Biografie
Josephine Ann Endicott
wird 1950 im australischen Sydney geboren. Als sie im Alter von sieben beginnt ins Kinderballett zu gehen, befindet der Vater, ein Pharmavertreter, trocken: „Zu teuer“. Es ist die Mutter, aufgewachsen mit drei tanzbegeisterten Schwestern, die die Leidenschaft ihrer Tochter nach Kräften unterstützt. Bald schon erkennen ihre Lehrer:innen Jo Anns Talent und schicken sie zur professionellen Ballett-Ausbildung an die renommierte Australian Ballet School in Melbourne. 1967 wird sie als Corps de ballet-Tänzerin bei der Australian Ballet Company engagiert, wo sie bei Gastauftritten den berühmten Ballerinen ihrer Zeit begegnet, u.a. Margot Fonteyn, Carla Fracci, Lucette Aldos, Natalia Makarova und Maja Plissezkaja. Sie arbeitet mit großen Choreografen wie Anthony Tudor, Frederick Ashton, Paul Taylor, John Butler, Leonide Massine, Robert Helpmann oder Rudolf Nurejew, der sie von allen am meisten beeindruckt. Ihre Position im Ensemble jedoch ist fragil. Sie entspricht nicht dem Ballerinen-Ideal der Zeit – ihr Gesicht gilt als zu rund, ihr Körper als zu weiblich und ihr Charakter als zu unangepasst. Nurejew rät ihr, nach Europa zu gehen.
Von London nach Wuppertal
1972 geht sie nach London, wo – eher durch Zufall – ein Jahr später Pina Bausch sie entdeckt und auf der Stelle an ihr neu zu besetzendes Tanztheater nach Wuppertal engagiert. Hier passt die junge Australierin genau ins Konzept. Pina Bauschs neues Tanztheater-Ensemble frönt nicht dem standardisierten Einheitsschema des Balletts, sondern will Menschen zeigen, „wie sie wirklich sind“: klein oder groß, rundlich oder schlank. Möglichst viele unterschiedliche Charaktere soll dieses Ensemble versammeln und jede Person soll in ihrer Individualität und Einzigartigkeit sichtbar werden können. Jo Ann Endicott passt mit ihrem unverstellten Temperament und ihrer direkten Art perfekt. Und sie hat das Zeug zur Protagonistin. Als Pina Bausch ihr in ihrem Brecht/Weill-Doppelabend Die sieben Todsünden 1976 die Hauptrolle der Anna I überträgt, wird dies zum Durchbruch für die Australierin. Ab jetzt ist sie das prägende Gesicht und Aushängeschild des Tanztheaters in seinen frühen Jahren, ob in Komm tanz mit mir, Renate wandert aus, dem Macbeth-Projekt, Kontakthof, Arien, Keuschheitslegende oder Walzer – vorbehaltlos stürzt sich Jo Ann Endicott in jede Aufgabe. Nicht nur ist Pina Bauschs Bewegungsidiom für sie wie geschaffen, sie kann auch spielen, lachen, kreischen, heulen, zetern, sogar auf Kommando rülpsen. Sie kann das verträumte Mädchen ebenso gut geben wie die kreischende Nervensäge, die ausgelassene Komikerin genauso wie die unnahbare Grand Dame einer Abendgesellschaft. Vor allem aber beglaubigt sie die Stücke mit ihrer hohen Emotionalität. Jo Ann Endicott hat die Fähigkeit, sich auf der Bühne zu verausgaben. Sie gibt nicht vor, jemand zu sein, sie ist, was sie spielt.
Szenenwechsel
1987, emotional erschöpft, unterbricht sie ihre Arbeit mit dem Tanztheater und kehrt 1994 zunächst als Gast zurück. 1979 hatte sie bereits begonnen auch mit Theaterregisseuren wie Hansgünther Heyme, Peter Palitzsch (1991) oder Wolf Seesemann (1995) zu arbeiten, was sie selbst für ihre künstlerische Weiterentwicklung sehr schätzt. Über ihre Arbeit mit Pina Bausch verfasst sie zwei Bücher: 1999 Ich bin eine anständige Frau und 2009 Warten auf Pina. Sie arbeitet nun zunehmend als Probenleiterin und kümmert sich um die Weitergabe der Stücke.
Ein großer Erfolg werden ihre Wiedereinstudierungen von Kontakthof mit Damen und Herren ab 65 (gemeinsam mit Beatrice Libonati 1999/2000) und Kontakthof mit Teenagern ab 14 (gemeinsam mit Bénédicte Billiet 2009/2010). Von 2007 bis 2015 gehört Endicott als Probenleiterin und Tänzerin wieder fest dem Tanztheater Wuppertal an. Auch danach zeichnet sie für zahlreiche internationale Einstudierungen verantwortlich, unter anderem für Das Frühlingsopfer, Orpheus und Eurydike und Kontakthof an der Pariser Oper und 2020 erneut für Das Frühlingsopfer mit einem Ensemble aus Tänzer:innen verschiedener afrikanischer Länder, produziert an der École des Sables im Senegal.
Für ihre Arbeit wird sie u.a. 2008 mit dem Chevalier de l‘ordre des Arts et des Lettres und 2012 mit dem Officier de l‘ordre des Arts et des Lettres ausgezeichnet. Als ‚Tänzerin der ersten Stunde‘ hat sie große Freude daran, in jeder Neueinstudierung junge Kolleg:innen als Assistent:innen und Probenleiter:innen für die Zukunft auszubilden.
Text: Norbert Servos
Galerie
Foto: Guy Delahaye
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