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Schreiben ist schwer, über sich selbst zu schreiben ist schwerer, über Pina Bausch zu schreiben ist fast unmöglich – jedenfalls für mich!

Ich hatte das unschätzbare Glück, dass Pina Bausch mir eine geradezu symbiotisch enge künstlerische Partnerschaft gewährt hat, eine Zusammenarbeit, die über 29 Jahre gedauert hat.

Ihren Tänzern gilt meine ganze Zuneigung und mit vielen Mitarbeitern bin ich befreundet, kurz: Es ist meine Familie.

Bei allen äußeren Zwängen war die Arbeit mit Pina sicher die freieste, die ich erlebt habe.

Drei Begriffe fallen mir ein, wenn ich über ihre Arbeit mit dem Tanztheater nachdenke:

Freiheit – Risiko und – fast ein Widerspruch – Vertrauen

Freiheit war so wichtig für Pina, für sich selber und für alle, die mit ihr waren.
Immer wieder die Kunst zu befreien – und frei zu halten von allen engen Deutungen, Definitionen, Regeln und Bestimmungen.

Die Kunst in Freiheit zu erfahren, ihre Räume und ihre Grenzen zu erforschen und immer wieder zu öffnen und zu erweitern.

Frei sein sollten auch ihre Tänzer.
Ihre Fantasie, ihr Geist und natürlich auch ihre Kunst: ihr Tanz.
Flügel sollten sie haben – und mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen.

Natürlich ist es immer voller Risiko, wenn man unbekannten Grund betritt.
Löse ich Formen auf, dann muss ich neue Formen finden.
Es ist riskant, den geplanten Weg zu verlassen, weil man unterwegs etwas Überraschendes entdeckt hat. Man kann sich dabei leicht verlaufen.
Zu diesem Risiko war Pina immer bereit.

Dazu erscheint das Wort „Vertrauen“ wie ein Gegensatz.

Verunsichert wage ich kein Risiko, und ich kann mich nur frei fühlen, wenn ich Vertrauen habe.

Auf Pinas Proben zu einem neuen Stück musste alles möglich sein.
Die Tänzer sollten sich frei fühlen und ohne Zögern jeden Einfall –sei es Wort oder Bewegung – zeigen. Im Vertrauen, dass niemand etwas gering schätzen oder gar belächeln würde.

Deshalb ist auf Pinas Proben auch nie ein Besucher zugelassen worden.
Hier herrschte strikte Intimität.

Und kein Einfall war zu klein, als dass Pina ihn nicht ernsthaft angeschaut, geprüft hätte, wie er im neuen Stück nützen könnte.
Sie wollte nichts verpassen.

Aber da war noch ein anderes Vertrauen:
Die Tänzer konnten absolut darauf vertrauen, dass Pina – und das galt auch für mich und meine Arbeit – dass wir niemals etwas tun oder auch nur zulassen würden, was sie in ihrem Tanz beschädigen könnte.
Schwierig: Ja – aber beschädigen: Nein
Das war ein Grundgesetz.

Pinas Stücke: Das ist ein großes Repertoire : 40 Stücke von Pina Bausch.

Und die Zusammenarbeit zwischen Pina und mir? Fast dreißig Jahre! 26 Bühnenräume habe ich für Pina entworfen. Was war da so besonders?

Dreißig Jahre der größten Anstrengung, der tiefsten Verzweiflung aber auch immer wieder der schönsten Überraschungen, die wir in dieser langen Zeit für einander bereit gehalten haben. Ich glaube, das ist auch eine Liebeserklärung.
Und nie in dieser ganzen Zeit haben wir versucht, die Last der eigenen Unsicherheiten auf den Schultern des anderen abzuladen.
Wir haben oft gestritten, manchmal wütend. Aber wir haben nie den Respekt füreinander verloren. Ich habe Pina als sehr respektvoll erlebt und habe selbst auch versucht, respektvoll zu sein.

Auch das war eine Besonderheit in unserer Beziehung: Wir waren wirklich sehr verschieden, in mancher Hinsicht wie Feuer und Wasser.

Aber trotzdem hat Pina in Peking mich bei der Antwort auf die Frage eines chinesischen Künstlers, wie wir denn in der Arbeit miteinander redeten, unterbrochen: „Mein Lieber, wir haben nie viel miteinander reden müssen!“
Viel Widersprüchliches und eine große Harmonie vor allem in der Arbeit. Um die ging es ja. Rätselhaft. Auf dem Einband meines Buches PETER FÜR PINA lächelt sie wie Mona Lisa.

Bei Schwierigkeiten hat Pina immer schöpferisch reagiert. Das schönste Beispiel dafür habe ich schon nach kurzer Zeit erlebt, im Dezember 1982.
Nelken stand kurz vor der „Geburt“. Das Bühnenbild wurde zum ersten Mal aufgebaut. Dass es Nelken geben würde, hatte sich schon herumgesprochen, aber jetzt lag es da, das Feld aus 8000 rosa Nelken. Es strahlte im Licht mit einer solch makellosen Schönheit, wie auch ich sie nicht erwartet hatte. Sprachlosigkeit rundum. In Minutenschnelle ging die Nachricht um im Haus, das Theater stellte die Arbeit ein und alle kamen auf die Bühne, um das Wunder zu sehen.

Ich stand bei Pina und plötzlich fiel mir etwas Grauenhaftes ein: Beim Tanzen würden diese 8000 Beauties geknickt werden, zertreten.
Und Pina sagte einfach ganz ruhig: „Wir können ja eine Szene machen, in der die Tänzer die Nelken wieder aufrichten. Nelken trösten.“
Dafür habe ich Pina die nächsten 28 Jahre geliebt.

Wir haben das dann nicht gemacht, weil die langsam fortschreitende Zerstörung der eitlen Schönheit doch spannender war. Die Nelken wurden dann in der Regel am nächsten Morgen von Technikern und Helfern „getröstet“, unübertroffen in Amsterdam: Da saßen in strahlendem Sonnenschein 6 Helfer auf der Straße am Rand einer Gracht vor dem Theater Carré.
Männer, die einen das Fürchten hätten lehren können: von Muskelpaketen gespannte Tattoos, gebrochene Nasenbeine und ausgeschlagene Zähne – und diese Männer bogen ganz sorgsam, fast zärtlich Berge von rosa Nelken gerade. Ein Traum für Pina!

Pina hatte auch keine große Neigung, Dinge oder Leistungen zu beurteilen. Sie war bescheiden, nur in ihren Ansprüchen an sich selbst war sie maßlos. Sie hat nicht viel über Kunst geredet, denn dass es immer nur um die höchste Qualität ging war so selbstverständlich, dass es nicht mal eines Wortes wert war.
Ich habe sie oft vor Erschöpfung zwischen zwei Zuschauerreihen auf dem Boden liegend gesehen. Auch darüber wurde nicht geredet.
Und neulich habe ich tatsächlich auch von mir ein Foto schlafend in einer Reihe des Schauspielhauses gefunden, ich hatte mir nur die gepolsterten Klappsitze ausgesucht.

Aber es konnte auch nie genug sein. Wenn ich ihr ein Bühnenbild gezeigt hatte, das ihr gefiel, kam sofort die Frage: „Was kann das noch?“ oder: „Muß das immer da sein?“ Zum Beispiel bei dem Wasserteich in Nefes oder dem Blumenberg in Der Fensterputzer. Weil ich fand, daß Nein sagen nicht zu meinem Beruf gehört, habe ich ihr dann immer das Blaue vom Himmel herunter versprochen, ohne zu wissen wie es geht. Bei Wiesenland z.B. habe ich ihr angeboten, dass wir die riesige Mooswand auch umdrehen und als Decke über die Bühne hängen könnten. Die Tänzer könnten dann immer aus der Wand auf die Bühne fallen. Zu meinem Glück war Pina daran nicht so interessiert, sonst hätte ich wahrscheinlich das Tanztheater Wuppertal schon im Jahr 2000 verlassen dürfen.

Unendliche Energie: Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört ist so ein Stück , in dem Pina unerbittlich war in ihrem Anspruch an die Tänzer. Das war so voller aggressiver Energie, so unnachgiebig ausgeführt, dass einem Angst wurde. Der Theaterarzt wurde fast in jeder Vorstellung gebraucht und am Ende war da einfach Erschöpfung. Von allen, auch dem Publikum. Pina wusste, dass Energie erst im Übermaß eingesetzt, eine eigene Kraft und Qualität entwickelt.
Dieses Streben, enorme Energie in sich und in den Tänzern zu generieren, hat sie nicht verlassen bis zu ihrem eigenen Ende.

Da gab es bei ihrem letzten Stück die Frage von Tänzern, ob es nicht schöner wäre, den Boden für das Ende des Stückes offen gespalten zu lassen. Und Pina, fest wie ein Fels hat sich geweigert, das auch nur zu erwägen. „Weißt du“, hat sie zu mir gesagt, „ich weiß, dass die mit dem offenen Boden umgehen können und sich nicht verletzen.
Aber ich will, dass der Schluß irrsinnig schnell wird und deshalb will ich auch nicht die kleinste Bremse in ihren Köpfen haben.“
Das hat sie gesagt etwa drei Wochen vor ihrem Tod, als sie schon selber kaum noch sitzen konnte, ein Bild, das mich bis heute nicht verlassen hat. Auch aus diesem sich nicht schonenden Willen heraus sind die schönen 40 Stücke von Pina Bausch entstanden. Das soll man nicht vergessen.

Vor kurzem bin ich gefragt worden, wie ich auf meine Zeit mit Pina zurückblicke und ob ich die Zusammenarbeit vermisse?

Ich vermisse Pina.

Aber ich erinnere mich gerne, ich finde es toll, dass es da war. Es ist lebendig in meinem Kopf und in meinem Herzen. Das war eine privilegierende, kostbare, wunderbare persönliche und berufliche Beziehung.

Wir haben uns gegenseitig Mut gemacht mutig zu sein!

27.4.2019 PP


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