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Interviewte Person
Interviewee
Bénédicte Billiet

Interview, Transkript und Übersetzung
Interview, Transcript and Translation
Ricardo Viviani

Kamera
Camera
Sala Seddiki

Schnitt
Video editor
Christian Edgar Scholz

Lektorat
Proofreading
Miriam Leysner

© Pina Bausch Foundation

Interview mit Bénédicte Billiet, 5.10.2022

Bénédicte Billiet erzählt in diesem Interview, wie sie nach einer klassischen Ballettausbildung und Studien im modernen Tanz bei Peter Goss in Paris 1981 zur Kompanie von Pina Bausch kam. Sie beschreibt die unkonventionellen Arbeitsmethoden von Pina Bausch und wie sie im Laufe der Jahre lernte, ihre Zweifel zu überwinden und ihre Stimme in der Kompanie zu finden. Bénédicte Billiet spricht auch darüber, wie Pina Bausch mit ihren eigenen Zweifeln und Frustrationen umging und wie wichtig dieser Forschungsprozess für die Entwicklung der Werke war. Nach einer familienbedingten Auszeit kehrte sie zurück und schloss sich dem Team für die Wiederaufnahmen von „Kontakthof“ mit Damen und Herren ab „65“ und später mit Teenagern ab „14“ an. Außerdem war sie an den frühen Bemühungen zur Archivierung und Dokumentation von Pina Bauschs Werk beteiligt. Für Bénédicte Billiet ist das Tanztheater von Pina Bausch vor allem durch die Suche nach Integrität und Authentizität auf der Bühne geprägt. Ein Schlüsselwort für sie ist „Sehnsucht“, ein wiederkehrendes Thema in den vielen Aufgaben, die Pina Bausch ihren Tänzern stellte.

Interviewte PersonBénédicte Billiet
Interviewer:inRicardo Viviani
KameraSala Seddiki

Permalink:
https://archives.pinabausch.org/id/20221005_83_0001


Inhaltsübersicht

1

0:33

Ricardo Viviani:

Wie bist du zum Tanzen gekommen?

Bénédicte Billiet:

Das ist eine lange Geschichte. Also, eigentlich wollte ich Trapezkünstlerin werden. Das sage ich auch in dem Stück Nelken. Damals hatten wir einen Fernseher, schwarzweiß. Was wir gucken durften, war zum Beispiel Zirkus, Zirkus-Vorstellungen. Da war ich ganz fasziniert und ich hatte das als Berufsprojekt, als Berufstraum für mein Leben. Es gab aber damals keine Zirkusschule wie heute, in der man das lernen konnte. Man musste in eine Zirkusfamilie hineingeboren sein. Ich habe mich oft beschwert, dass ich das gar nicht lernen kann. Meine Mutter hat mich, um mich zu beruhigen, in einem Gymnastik-Kurs angemeldet. Dann habe ich gelernt, wie man so auf dem Balken geht, wie man Rollen macht. Ich habe an vielen Turnieren in meiner Heimatstadt Lille teilgenommen. Und wir hatten manchmal Wettkämpfe mit anderen Städte. Das war sehr schön. Irgendwann ist mein Vater erkrankt – er ist wieder gesund geworden –, aber meine Mutter konnte sich nicht um mich kümmern. Sie wollte nicht, dass ich alleine zu Hause bleibe, und hat dann eine Lehrerin meiner Schwester gefragt, ob ich an ihrem Tanzkurs teilnehmen dürfe. Meine Schwester hatte einen Tanzkurs in der Schule. Ich hatte das nicht. Das war wahrscheinlich ganz neu, meine Schwester ist jünger als ich, und bei mir gab es das noch nicht. Ich bin bei diesem Tanzkurs gewesen und die Lehrerin hat nachher meiner Mutter erklärt: „Es ist unglaublich, sie kann fast alle Schritte machen.“ Infolgedessen bin ich zu einer Vorstellung gegangen, also ich ging mit meinen Eltern. Wir gingen zu Opern, Operetten. Ich bin sehr dankbar, dass meine Eltern mit mir und meiner Schwester das gemacht haben. Wir gingen auch zum Ballett. Eine andere Lehrerin sagte zu meiner Mutter: „Bénédicte ist wie verwandelt, wenn sie eine Vorstellung guckt.“ Ich war ein schüchternes Kind, sehr verschlossen. Sie sagte: „Ich habe sie beobachtet: Es ist unglaublich, wie sie so richtig eintaucht.“ Irgendwann hat meine Mutter mich dann zum Tanzunterricht angemeldet.

Ricardo Viviani:

Gibt es eine bestimmte Vorstellung, an die du dich erinnern kannst?

Bénédicte Billiet:

Eher an die Oper. Ich hatte und ich habe immer noch ein sehr naives Gucken. Eine Oper war La Bohème – ich weiß nicht, wie man auf Deutsch sagt. Es gab eine Arie, die ich immer noch in meinem Herz trage. Es gibt einen Moment, wo Mimi krank ist und sterben wird. Sie hat keine Heizung. Sehr aktuell. Es gibt einen Freund, der dann seinen Mantel abgibt. Und er singt so ein wunderbares Lied, um sich von diesem Mantel zu verabschieden. Das hat mich als kleines Kind so wahnsinnig gerührt und es rührt mich immer noch. Das ist eine sehr große Erinnerung für mich. Klar, es ist sehr naiv, es ging mehr um die Tat und nicht unbedingt um die Qualität des Gesangs oder die Partituren und so weiter. Aber ich habe viele Emotionen gehabt in meiner Kindheit in dieser Richtung. Meine Eltern waren keine Künstler. Es war ohne … Es war nur einfach ein ganz direkter Kontakt. Ich habe kein Instrument gelernt, ich habe nicht singen gelernt und bis dahin hatte ich noch nicht tanzen gelernt. Ich war ganz naiv und habe das einfach so aufgesaugt.

Ricardo Viviani:

Zurück zur Geschichte: Deine Lehrerin hat erzählt, dass du ganz in diese Welt eingetaucht bist.

Bénédicte Billiet:

Das hat meine Mutter dazu gebracht … Ich glaube, sie wäre selber vielleicht gern mehr in die Kunstwelt gegangen. Es war aber nicht möglich, weil Krieg war und sie arbeiten musste usw. Aber irgendetwas in ihr hat ihr irgendwie Freude gemacht und dann hat sie mich zu diesem Kurs angemeldet hat. In mir ist dann sehr schnell der Wunsch entstanden, dass das mein Beruf werden soll. Mein Vater war überhaupt nicht begeistert. Ich war zwölf. Mein Vater war sehr alt und er hatte eine Vorstellung der Tanzwelt, die vielleicht aus dem Jahrhundert davor beruhte. In Erinnerungen an Bilder von Degas mit alten Herren, die jungen Mädchen helfen, aber weiß man nicht genau, was mit uns passiert. Also er fand, es sei überhaupt keine gute Idee, meine Idee Tänzerin zu werden. Später als ich anfing, Erfolg zu haben bzw. meine Lehrer sagten: „Ja, die ist gut, sie soll weitermachen.“, dann hat er seine Meinung vollkommen geändert und hat angefangen, sich dafür zu interessieren. Er war Journalist, hat aber mehr in der Redaktion gearbeitet. Er hat dann angefangen, Artikel zu schreiben über den Tanz in Lille, in meiner Heimatstadt … sehr viel Dokumentation, weniger Kritik. Aber das war wunderschön, diese Wandlung, die er erlebt hat. Ja, ich habe dann gelernt im Tanzkonservatorium von Lille. Nach zwei Jahre hat ein Tänzer, der in der Kompanie in Lille arbeitete, meiner Mutter empfohlen, dass ich nach Paris reise, dass ich in Paris lerne, weil er meinte, in dieser Zeit könne man nur dort richtig lernen.

Ricardo Viviani:

Das Konservatorium in Lille: Was hat man dort gelernt – Ballett, Modern, noch etwas?

Bénédicte Billiet:

Nur Klassisch. Damals gab es in vielen Schulen nur Klassisch. Keine Musik, kein Modern, nur Klassisch.

Kapitel 1.2

Paris
9:11

Ricardo Viviani:

Ein Freund hat empfohlen, dass du nach Paris gehen solltest, um etwas zu lernen.

Bénédicte Billiet:

Meine Mutter hat diese Entscheidung getroffen, was ich unglaublich finde, und ich bin sehr, sehr dankbar. Sie hat mich nach Paris geschickt und mein Vater hat mitgemacht. Mit 14 bin ich nach Paris gezogen. Ich habe alleine gelebt und meine Eltern haben mich finanziell voll unterstützt und ich bin im Konservatorium von Paris angenommen worden. Ich wollte eigentlich an die Pariser Oper. Das war mein Traum: klassische Tänzerin, étoile­, in der Pariser Oper zu werden. Ich war aber zu alt dafür, ich war bereits 14, das war schon zu alt, um in die Schule 'rein zu kommen. Dann bin ich im Conservatoire national de danse de Paris angenommen worden und habe da drei Jahre gelernt. Da gab es auch nur klassisches Ballett, ein bisschen Musik und ein bisschen adage, ein bisschen Arbeit mit Partner, aber auf eine richtig klassische Art und Weise. Und nach diesen drei Jahre, wir hatten immer Prüfungen jedes Jahr, ist mir gesagt worden, ich wäre zu dick – ich war 17 – und ich hätte überhaupt keinen Stil. Also ich hätte nicht den Stil, um eine klassische Ballerina zu werden. Und es wäre besser, wenn ich einfach wieder in die Provinz gehen würde. Infolgedessen habe ich Medikamente geschluckt, um ein bisschen dünner zu werden und so weiter. Gott sei Dank nicht so lange.

11:16

Ricardo Viviani:

Nach einiger Zeit hast du angefangen vorzutanzen. Wie war das?

Bénédicte Billiet:

Ja, direkt nachdem man mir gesagt hat, dass ich einfach nicht mehr zu dieser Schule gehöre, habe sofort nach Vortanzen gesucht. Ich glaube, ich habe zwei Vortanzen gemacht, die nicht erfolgreich waren. Bei dem dritten hat es funktioniert und ich dann bin im Ballet de Lyon angenommen worden. Für mich war das praktisch das Ende meines Lebens. Es war richtig dramatisch. Also ich war im Ballet de Lyon, geleitet von Vittorio Biagi, der bei Maurice Béjart gearbeitet hatte. Und für mich war das moderner Tanz und ich fand das richtig schrecklich. Ich wollte nicht eine moderne Tänzerin werden, ich wollte klassisch. Ich hatte das Gefühl, Modern ist nur sich auf dem Boden wälzen und sonst nichts. Und mit la mort dans l'âme – sagt man in Französisch, der Tod in der Seele – bin ich nach Lyon umgezogen und habe angefangen, da zu arbeiten. Erstaunlicherweise habe ich fast direkt gefühlt, hier ist etwas anderes, was mir eigentlich besser steht. Ich habe da drei Jahre gearbeitet. Wir hatten drei oder vier Vorstellungsserien pro Jahr. Ich hatte Unterricht, ganz normal, es war eine ganz normale Ballettkompanie. Im Laufe dieser drei Jahre habe ich einen Artikel gelesen. Ich las immer Tanzzeitungen und habe einen Artikel gelesen über Pina Bausch. Das war ein Artikel aus 1974, glaube ich, und es ging um die Premiere von Das Frühlings Opfer (03.12.1975) Ein ganz kleiner Artikel, er war nicht lang. Es war ein Mann, der schrieb, und der war entsetzt. Er fand das so schrecklich und er war so abwertend mit dieser Frau. Und das hat mich gerührt. Ich war immer noch schüchtern. Ich war keine Frau, die so sicher war. Aber es hat mich sehr fasziniert: eine Frau, diese Frau … – sie wurde auch beschrieben, wahrscheinlich dünn und lang – dass jemand so was Starkes machen konnte, dass jemand so wütend ist. Ich hatte die Arbeit nicht gesehen, es waren nur ein so paar Zeilen.

Kapitel 1.4

Peter Goss
14:46

Bénédicte Billiet:

Und infolgedessen – und nicht nur das – habe ich gedacht, ich möchte diese Kompanie verlassen und ich möchte jetzt mehr wissen über modernen Tanz und bin dann wieder nach Paris gezogen. Ich habe erstmal Tanztraining genommen mit Peter Goss, er kam von Jazz Dance und von José Limón. Er hatte seinen eigenen Stil entwickelt. Wunderschöner Unterricht, ich habe ihn sehr, sehr genossen und bin immer noch sehr geprägt davon. Er ist immer noch etwas sehr Wichtiges für mich und ich habe mit ihm dann gelernt und irgendwann habe ich in einer seiner Vorstellungen getanzt. Es waren sehr schöne Vorstellungen, aber es hat mir immer noch ein bisschen gefehlt … Deswegen suchte ich noch etwas. Als ich bei Peter Goss gearbeitet habe, habe ich Dominique Mercy kennengelernt. Er hatte schon in Wuppertal gearbeitet. Er war schon in der Kompanie gewesen und hatte ein Sabbatical und hat wieder in Paris etwas gemacht. Er hat bei Peter Goss in der gleichen Vorstellung getanzt. Wunderschöner Tänzer. Und ich hörte, dass er wieder nach Wuppertal geht als Gast, um bei einem kleinen Festival, das erste kleine Festival vielleicht mit Stücken von Pina, zu tanzen. Die Stücke waren Iphigenie auf Tauris, Orpheus und Eurydike und die Premiere von Die sieben Todsünden. Als ich das gehört habe, dass er dahingeht, um hier zu tanzen, wollte ich ihn unbedingt auf der Bühne sehen. Und da war diese Pina Bausch, über die ich diese paar Zeilen gelesen hatte. Das war die Gelegenheit, endlich mal zu sehen, was sie macht. Dann bin ich nach Wuppertal gekommen. Ich hatte kein Geld und Dominique hatte mir gesagt, du kannst bestimmt bei Pina schlafen, und das ist in der Tat passiert. Ich war immer noch sehr schüchtern und habe mit Pina einfach nur gelächelt. Wir hatten immer sehr schöne Lächeln zusammen, aber wir haben nicht gesprochen, weil ich eigentlich kein Deutsch konnte, nur ein bisschen Englisch, und Pina kein Französisch. Ich habe die Vorstellungen gesehen. Und ich hatte das Gefühl, ich sehe jetzt etwas … es ist, was ich suche, eine Art, die Sachen auszudrücken … Ich habe ein bisschen trainiert mit der Kompanie und die Leute waren sehr willkommen heißend. Es war sehr nett, es war sehr schön.

Ricardo Viviani:

Das Training mit der Kompanie war noch nicht in der Lichtburg, es war im Tanzsaal?

19:10

Bénédicte Billiet:

Nein, das war in dem Ballettsaal. Das war schön. Es ist schade, dass der Ballettsaal nicht mehr existiert. Es war so ein schöner Ort, aber ich habe nur drei Tage da… Nein, ich habe mehr als das erlebt. Als ich in der Kompanie war später, wurde der Ballettsaal immer noch benutzt … Ich glaube, ein oder zwei Tänzer haben mich gefragt, ob ich in der Kompanie arbeiten wollte, aber das war eigentlich gar nicht mein Ziel. Ich wollte nur sehen, was die Pina machte. Ich war immer noch in Paris mit Peter Goss. Ich war in der freien Szene in Paris und hatte nicht die Absicht, dass … Aber ich hatte das Gefühl, ich habe gefunden, wie ich selber die Sachen spüren möchte. Dann bin ich wieder nach Paris gegangen und habe weiter zwei Jahre dort gearbeitet. Zwei Jahre später ist Pina mit "Blaubart" nach Paris ins Théâtre de la Ville gekommen. Das war ein Skandal. Es gab so viele Reaktionen vom Publikum – Leute, die es gar nicht mochten. Es gab sehr viele Buhrufe. Bei der Vorstellung, bei der ich war, gab es jemanden, der ganz oben im Théâtre de la Ville einen Platz hatte und der wütend war. Der schimpfte und schimpfte und ging die ganze Treppe runter, bis er rausging, und schimpfte die ganze Zeit. Und ich fand das so faszinierend. Ich mochte diese Reaktionen so gerne, auch wenn es für die Tänzer und Tänzerinnen nicht unbedingt so schön war.
Als sie nach Paris kamen, war es keine gute Zeit für mich. Ich war auf der Suche. Ich hatte nicht viel Arbeit, nicht viel Geld. Es bleibt für mich trotzdem eine sehr, sehr schöne, reiche Zeit, diese Zeit in der freien Szene in Paris. Weil wir immer wieder etwas angefangen haben, daran geglaubt haben und dafür gekämpft. Deswegen ist diese Zeit wirklich sehr wertvoll. Aber es ging mir trotzdem nicht gut und ich bin nicht zu den Tänzern gegangen. Pina Bausch hatte ein Vortanzen organisiert in Paris, in der Rotunde des Théâtre de la Ville. Das habe ich gemacht. Ich war bei dem Vortanzen zusammen mit Janusz Subicz und Nazareth Panadero, die ich bei den Kursen bei Peter Goss kennengelernt hatte. Nach diesem Vortanzen sind wir in einem Restaurant gewesen: Janusz, Nazareth, Pina und andere Leute. Pina hat mir gesagt, dass sie meinen Tanz sehr schön fand, aber dass sie das Gefühl hatte, dass ich noch nicht richtig wusste, was ich wollte. Und sie hat gesagt, komm aber mal nach Wuppertal und wir können ein bisschen probieren und mal gucken. Ich glaube, ich war ein bisschen beleidigt, und habe gedacht: „Nein, entweder ganz oder gar nicht.“ Und dann bin ich nicht nach Wuppertal gegangen. Nazareth und Janusz sind engagiert worden.

Bénédicte Billiet:

Ich habe weiter mein Freelance-Leben gemacht und zwei Jahre später hat Dominique Mercy mich angerufen und mir gesagt: „Pina sucht eine Frau. Möchtest du es nicht wieder probieren?“ Inzwischen hatte Anne Martin auch gesagt: „Pina mag dich, komm doch vorbei.“ Aber ich war stur und sagte: „Nee“. Zwei Jahre später war ich nicht mehr so stur und bin dann nach Wuppertal gekommen und habe wieder ein Vortanzen gemacht. Wir waren fünf Frauen und am Ende von diesem Vortanzen bin ich engagiert worden. Ich bin engagiert worden auf der Treppe des Opernhauses neben der Bühne. Das bleibt ein Ort, der sehr stark ist. Pina hat mich engagiert. Aber sie hat mir wieder gesagt, sie liebte, wie ich tanzte, aber sie hatte ein Problem mit meiner Stimme. Ich habe sehr viele Jahre gebraucht, um zu verstehen, was das ist. Weil ich gedacht habe, meine Stimme ist nicht schön. Im Endeffekt war es so, dass ich Angst hatte, meine Stimme zu benutzen. Ich hatte sowieso Angst und ich konnte einfach meine Stimme nicht richtig benutzen. Es war richtig zu, hier. In der Arbeit war sehr oft so, dass Pina Fragen gestellt hat, und wir haben geantwortet mit tanzen, sprechen, alles, was man wollte. Und wenn ich versucht habe zu sprechen, hat Pina mich oft angeguckt und gesagt: „Deine Stimme.“ Ich bin immer in 1000 Stücke explodiert, es war richtig schrecklich. Und peu à peu also mit der Zeit, mit viel Zeit habe ich gelernt, meine Stimme zu akzeptieren und einfach zu verstehen, es geht nicht darum, wie schön meine Stimme ist oder nicht, aber sie richtig zu benutzen wie heute zum Beispiel. Genau. Aber es war ein harter Prozess.

Ricardo Viviani:

Kannst du beschreiben, was da du gelernt habe oder wie deine Stimme vorher war, und wie du das ändern konntest?

2

27:36

Ricardo Viviani:

Kannst du dich erinnern, welche Stücke du zuerst gelernt hast?

Bénédicte Billiet:

Also die ersten Stücke, die ich gelernt habe, – ich weiß nicht genau, in welcher Reihenfolge – waren 1980 und Kontakthof. Diese Stücke haben wir sehr viel gespielt, weil damals das Repertoire noch nicht so groß war wie heute. Ich bin im August 1981 gekommen und ich habe am Anfang wirklich nichts, nichts verstanden. Es war sehr, sehr fremd diese Arbeit. Ich wollte in dieser Kompanie arbeiten: Das war die Arbeit, die mich fasziniert hatte, aber ich verstand gar nichts. Und es hat gedauert, bis ich vielleicht verstanden habe.

Kapitel 2.2

Bandoneon
28:42

Ricardo Viviani:

August 1981. Ich glaube, das war der Entstehungsprozess von Bandoneon, nicht wahr?

Bénédicte Billiet:

Bandoneon war gerade vorbei, aber du hast recht, es ist auch Bandoneon. Eine Anekdote: Als ich nach Wuppertal zum Vortanzen kam, als ich engagiert wurde, da habe ich abends eine Vorstellung von Bandoneon geguckt, was gerade kreiert worden war, und ich saß im Saal. Es wurde viel erzählt im Stück, also es gibt Texte und ich verstand kein Deutsch und hatte gar keine Ahnung, was die sagten. Ich habe mir selber Geschichten erzählt, was das ist, worüber das Stück ist, aber es war ganz daneben. Irgendwann am Ende vom ersten Teil kommen die Techniker auf die Bühne und bauen die Bühne um, also sie nehmen alles weg. Da dachte ich: „Was ist denn hier los? Und warum ist die Bühne jetzt leer?“ Und so weiter. Im zweiten Teil kam ein Mann auf die Bühne. Nazareth war da mit ihrem Gedicht und wollte ihr Gedicht lesen. Es gab einen Eimer mit Wasser neben Nazareth. Dieser Mann kam auf die Bühne und er nahm den Eimer mit dem Wasser. Nazareth fühlte, dass etwas komisch war, und ging raus. Der Mann hatte den Eimer und wollte den eigentlich auf Nazareth ausschütten. Ich war nicht sicher: „Ist es im Stück oder ist es nicht im Stück?“ Und als der Mann alleine war, dann hat er das Wasser einfach ins Publikum geworfen und ist schreiend rausgegangen. Es war klar jemand, der einfach das Stück nicht ertragen konnte. Danach habe ich verstanden, dass Pina nie diese Art Provokation benutzt hat oder benutzen würde. Ja, das war ein sehr großer Eindruck, kurz bevor ich in die Kompanie kam.

Bénédicte Billiet:

Die ersten Stücke waren Kontakthof und 1980. In 1980 war die erste Prüfung, was meine Stimme angeht. Weil es eine Szene gibt, in der man erzählt, wovor man Angst hat im Dunkeln. Da kommen die Leute einer nach dem anderen und erzählen ganz aufgeregt: „Ja, ich hatte Angst. Da gibt es ganz schwarze Gestalten ..." Und das ist etwas, was für mich fast unmöglich war. Das Stück hat angefangen, das kommt 20 Minuten nach dem Anfang und bis diese 20 Minuten vorbei waren, war ich nur am Zittern. Ich würde das gern noch einmal machen mit Genuss. Aber damals war es leider so, das war mein Anfang in der Kompanie.

Kapitel 2.3

Walzer
32:41

Ricardo Viviani:

Das erste Stück, bei dem du bei der Entstehung dabei warst, wurde in Amsterdam gespielt. Kannst du dich an dieses Stück erinnern?

Bénédicte Billiet:

Das war Walzer. Ich habe gemischte Erinnerungen. Obwohl es für mich sehr schwer war, weil ich sehr zu war, ich konnte mich nicht richtig öffnen – ich habe oft nicht verstanden, warum Pina mich engagiert hatte, weil ich wirklich nicht so viel konnte – trotzdem habe ich sehr schöne Erinnerungen an diese Arbeit. Ich kann nicht mehr sagen warum. Es gab Momente, da habe ich es richtig genossen, diese Fragen zu beantworten. Es gab Momente, in denen ich mich sehr viel geschämt habe, aber es bleibt trotzdem eine sehr schöne Erinnerung an den Prozess. Ich kann aber nicht mehr sagen, wie das war.

Ricardo Viviani:

Bei Bandoneon hast du die Sprache nicht verstanden, aber deine Phantasie war da. Dieser Prozess der Fragen oder die Aufgaben zu lösen, war das neu? War das schwierig für dich?

Bénédicte Billiet:

Das war sehr neu. Ich mag Arbeit und ich mochte, dass jemand mir zeigt, was ich zu tun habe, und ich fand das war eine ehrenvolle Aufgabe. Was in Paris schon in Frage gestellt wurde in meiner modernen Tanz-Welt. Wenn man nicht selber choreografierte oder Stücke entwickelte, war man ein bisschen ein Untertänzer. Das war mein Gefühl. Nur reproduzieren. Man musste kreativ sein. Das war eigentlich, was ich mochte. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet bei Pina. Ja, ich mochte, wenn man mir was sagte, und ich habe daran gearbeitet. Dann ich habe es so schön gemacht, wie ich konnte. Das war mein Glück. Darum ging es nicht mehr so … Klar, es gab in dieser Zeit immer noch viel Arbeit und viel Technik, aber da kamen ganz andere Sachen dazu. Es war ganz anders, wie man an den Sachen gearbeitet hat: diese vielen, vielen Details. Das war ein Lernprozess. Auch zu sehen, dass man so fein arbeiten konnte, das musste ich erst mal erkennen. Und es war nicht mehr so, dass man sagte: „Ja, das ist gut. Das kannst du besser machen. Guck mal hier.“ Man war sehr alleine. Obwohl zum Beispiel bei Stücken wie Das Frühlingsopfer stimmt es nicht, was ich sage. Das war ein Stück, bei dem ich mich sehr, sehr wohl gefühlt habe, bei dem ich richtig erkennen konnte, welche Arbeit es gab. Aber bei Stücken wie Kontakthof, da hatte ich Schwierigkeit herauszufinden, was ich machen soll. Was soll ich besser machen? Wie soll ich sein? Diese Arbeit, selber etwas zu finden, war sehr weit weg von mir. Ich habe mich nicht getraut. Ich hatte das Gefühl, ich habe gar keine Ideen. Erst jetzt fang ich an, Ideen zu haben, nach so vielen Jahren.

38:23

Ricardo Viviani:

In dem Stück Renate wandert aus hast du eine Rolle übernommen. Kannst du ein bisschen davon erzählen?

Bénédicte Billiet:

Ja, das war sehr, sehr schön. Das war die Rolle von Mari DiLena, die leider vor ein paar Monaten gestorben ist. Sie war nicht mehr in der Kompanie und ich sollte ihre Rolle machen. Ich habe sie getroffen. In diesem Stück Renate wandert aus liest sie Briefe, fünfmal oder viermal. Die Briefe hatte sie selbst geschrieben. Sie stellt sich vor, jemand schreibt ihr Liebesbriefe. Es fängt immer mit „Dear Mari“ an. Pina hat mir diese Rolle anvertraut. Ich sprach sehr schlecht Englisch, ich hatte mit Sicherheit einen furchtbaren Akzent. Mari hatte mir ihre Briefe gegeben, die sie geschrieben hatte, und mir ein bisschen darüber erzählt. Also das konnte ich gut machen irgendwie. Es war anders als in 1980. Ich musste selber meinen Text finden in 1980 und das war schon zu viel für mich, obwohl es wirklich überhaupt nicht schwierig war. Aber meinen eigenen Text sagen, das konnte ich nicht. Und „Dear Mari“ war etwas, was ich gelernt hatte und was ich versucht habe, so schön wie möglich zu machen, und das ging komischerweise. Es war eine sehr schöne Rolle, ich bin sehr dankbar.

Ricardo Viviani:

Dann gibt es weitere Stücke, bei denen Du in der Premiere mitgewirkt hast, unter anderem Nelken und Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört. Lass uns bei „Gebirge“ bleiben. Hast du da Erinnerungen an etwas, das du kreiert hast?

Bénédicte Billiet:

Ja, bei „Gebirge“ wollte Pina einen Schritt mit den Männern ausprobieren und ich fand das so schön und ich habe mitgemacht. Manchmal habe ich doch sehr viel gewagt und ich habe immer bei den Männern mitgemacht. Es ging darum, dass man das Bein schwingt und eine Rolle nach hinten macht und wieder aufsteht. Und das habe ich gemacht und gemacht und hatte sehr viel Spaß. Am Ende hat Pina gefragt, ob ich das allein machen könnte zwischen den Bäumen in „Gebirge“. So ist das entstanden. Es war oft so, dass Pina Sachen gefragt hat, aber daneben ist etwas anders passiert und das wurde genommen und nicht das, was sie im ersten Moment gesucht hat. Ich habe das super gerne gemacht. Aber es gab immer, immer, immer wieder Kritik: „Nee, jetzt du musst mehr, noch mehr strahlen. Du musst noch mehr Rhythmus … nicht immer auf die gleiche Art auftauchen, mal schnell, mal langsam, mal sehr langsam.“ Es war nie richtig ... Doch es war richtig, aber es gab immer etwas zu verbessern. Das war aber eine sehr konstruktive Kritik, um einfach heraus zu kitzeln, wie man es noch besser machen kann.

Ricardo Viviani:

Kannst du mal beschreiben, was da passiert in dieser Szene?

Bénédicte Billiet:

Ja, ich komme rein. Da sind Tannenbäume auf der Bühne – es war mir ein bisschen peinlich, dass so viele Tannenbäume für mich und für Beatrice, sie war in der Szene danach, abgeschnitten wurden – also, ich komme rein und lächle das Publikum an, ein bisschen frech, und ich falle erst mal. Die Frage war ... Es gab mehrere Fragen, eine Frage war „Tod spielen". Ich komme und ich falle tot um. Es war eine physische Antwort. Ich falle und gucke das Publikum an: „Das stimmt doch gar nicht.“ Ich stehe auf und renne, ich gehe hinter einen Baum und mache diese Rolle, die ich mit den Männern geübt habe, falle wieder tot um und gucke wieder. Und so weiter und so weiter. Das ist eine ganz einfache Szene, aber eine schöne, fröhliche Szene, obwohl es eine Frage mit dem Thema Tod war.

Ricardo Viviani:

Das hat einen sehr, sehr spielerischen Charakter, fast kindlich, könnte man sagen. Das nächste Stück ist Two Cigarettes in the Dark. Da hast du auch eine besondere Rolle.

Bénédicte Billiet:

In Two Cigarettes in the Dark habe ich einen schönen Tanz und irgendwann gehe ich nach vorne zum Publikum. Ich gucke das Publikum an und höre das Publikum. Dazu mach ich Töne: „Hm. Aha. Hm. Hm.“ Und irgendwann sage ich: „Ich bin süß. Ich bin süß und ich bin niedlich. Ich bin ein süßes, niedliches, kleines Ding.“ Das sage ich mehrere Male, bis Dominique Mercy mich ruft. Das habe ich als Antwort auf eine Frage von Pina gemacht. Ich weiß nicht mehr welche, ich müsste in meinem Büchlein gucken und ... Es scheint, einfach zu sein, zu sagen: „Ich bin süß.“ Es gibt viele verschiedene Art und Weisen, wie man das sagen kann, und es war nicht immer richtig. Pina hat mir gesagt: „Eigentlich bist du gar nicht süß. Du sagst es, aber du bist gar nicht süß.“ Ja, es war immer so ein Talent, das so zu sagen, dass man denkt, sie ist eigentlich gefährlich. Und das süß sein, ist leider etwas, was mich immer verfolgt hat. Ich war schon am ersten Tag süß, als ich bei Pina angefangen habe, und bin bis zum letzten Tag süß geblieben. Und das ist nicht nur schön und das hat jetzt nicht mit der Arbeit zu tun … aber man leidet auch, wenn man süß ist.

Ricardo Viviani:

Aber dann war in dieser Zeit deine Stimme schon da, oder?

Bénédicte Billiet:

Ja, das ging besser, das ging besser … Es war trotzdem irgendwie eine Angst davor, wenn ich Sachen zu sprechen hatte auf der Bühne. Heute kann ich bei mir zu Hause üben. Ich kann etwas sagen in meinem Raum und gucken, das muss mehr so sein oder so sein. Aber in der Zeit war ich immer noch nicht in der Lage, das zu machen. Also, es hat sehr lange gedauert.

3

Ricardo Viviani:

Das Repertoire wächst und wächst und es gibt immer wieder viele Auslandsreisen und Gastspiele. Wie war das für dich? Hast du das genossen – die Reisen, die unterschiedlichen Theater?

Bénédicte Billiet:

Ja, das habe ich genossen – andere Theater, andere Städte. Immer wenn wir in ein anderes Land gingen, habe ich versucht, ein bisschen die Sprache zu lernen. Ich fand es überhaupt sehr bereichernd, woanders zu sein. Eine Bühne, ich glaube, egal wo man ist, ist immer ein Zuhause. Also, da fühlt man sich direkt wohl – ob kleine Bühne, große Bühne. Ich kann die nicht richtig unterscheiden. In manchen Theatern – La Fenice da weiß ich, ja, die Bühne sah so aus – aber bei anderen Bühnen weiß ich es nicht mehr. Aber ja, das war immer einfach Zuhause.

Kapitel 3.1

Viktor
50:11

Ricardo Viviani:

Viktor kommt als Erstes offiziell heraus als Koproduktion in einer anderen Stadt. Hast du Erinnerungen daran, warst du in Rom?

Bénédicte Billiet:

Ja, ich war in Rom. Ich habe keine Geschichten, ich habe eher einen Geschmack. Ich weiß nicht mehr, ob es im Herbst war. Aber ich habe eine sehr besondere Erinnerung an die Stadt durch diese Arbeit. Wir haben ganz normal gearbeitet, wir waren ganz viel im Studio, im Theater. Es war nicht wie später, als man ganz viel angeboten kriegte. Es war das erste Mal, also offiziell. Das heißt, wir waren da und wir haben gearbeitet. Ansonsten musste man die Augen offenhalten, wenn wir durch die Straße gingen oder so und Eindrücke sammeln. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass da für uns ein besonderes Programm gestellt wurde. Aber in der Tat sind sehr viele Sachen eingeflossen in das Stück.

Ricardo Viviani:

Eine Sache, die in Viktor vorkommt, ist das Fliegen an den Ringen. War das irgendwie wie Trapezkunst für dich?

Bénédicte Billiet:

Ich habe keine Ahnung, wie das in dem Stück gekommen ist. Gut, dass ich keine Trapez-Künstlerin geworden bin, weil ich Angst hatte. Ich hatte immer das Gefühl, meine Hände rutschen. Ich hatte Angst, das zu machen.

Kapitel 3.2

Ahnen
52:21

Ricardo Viviani:

Hast du Erinnerungen an die Kreationszeit von Ahnen?

Bénédicte Billiet:

Ahnen … In Ahnen habe ich ein wunderschönes Kleid an. Das Kleid ist von Claudia Irman. Sie hat früher Gesellschaftstanz gemacht und sie hatte dieses wunderschöne, gelbe Kleid und das hat sie irgendwann mitgebracht. Ich habe das angezogen für eine Antwort auf eine Frage. Die Frage habe ich vergessen, aber dafür habe ich Claudia gefragt, ob ich ihr Kleid benutzen könnte. Wir hatten immer viele Requisiten. Ich war unter dem Kleid und kam so heraus – Brust frei – und sagte: „Ach, ich bin ganz eingeschlafen.“ Im Andenken an Der kleine Prinz, wenn die Rose sich morgens so öffnet. Ich fand meine Idee wunderbar und Pina fand es auch nicht schlecht, aber ich war nicht in der Lage, das zu wiederholen. Deswegen ist es nicht ins Stück gekommen, obwohl ich das so schön fand. Es war wichtig, dass du, wenn du etwas gezeigt hattest, in der Lage warst, es nochmal zu machen. Das hieß, dass die Idee Hand und Fuß hatte. Und wenn nicht, klar, dann konnte es nicht funktionieren. Trotzdem ist das Kleid im Stück geblieben und ich bin da als Prinzessin und werde so gereinigt … sehr besondere Stimmung in diesem Stück. Über die Entstehung weiß ich nicht mehr viel. Ich weiß, dass die Entstehungsprozesse für alle Stücke sehr viel Zeit brauchten, sehr lang waren. Es bedeutete viel Frustration für alle, weil sehr viele Angebote da waren, die nicht ins Stück kamen. Sehr viel Frustration bei Pina, die nicht weiterkommt. Aber viel mehr weiß ich nicht mehr über Details oder an Anekdoten.

Ricardo Viviani:

Zweifeln ist anscheinend auch eine sehr wichtige Sache, auch für Pina Bausch selbst. Es gibt viele Interviews, in denen sie sagt, dass es einfach so ist, es gibt immer viele Zweifel ... Meine Frage ist: Wie wichtig ist das? Ist das Teil des Selbsterkenntnisprozesses, des künstlerischen Entstehungsprozesses?

Bénédicte Billiet:

Für mich selbst gab es sehr, sehr viele Zweifel. Man war nie sicher, ob man es überhaupt gut gemacht hat oder nicht. Es war schmerzhaft, aber es hat so eine besondere Qualität gegeben. Eine besondere ... ich finde das Wort nicht ... Man hat nicht gespielt – obwohl es Sachen gibt, die gespielt sind in den Stücken von Pina – aber wiederum ganz viel, wo man man selbst ist. Und nur durch diese Zweifel, glaube ich, kann man man selbst sein.

Ricardo Viviani:

Noch einmal anders formuliert: Gewinnt man durch die Überwindung von Zweifeln die Sicherheit, etwas zeigen zu wollen? Helfen die Zweifel gewissermaßen, um an den wahren Kern einer Szene zu kommen?

Bénédicte Billiet:

Ja, ich denke schon, weil man dann tiefer geht. Man sucht eine Antwort auf diese Zweifel und findet eventuell etwas. Durch diese Zweifel – War das richtig so? Ist es das, was sie sucht? Was könnte ich noch? Ich finde nichts! Was könnte ich noch finden? – kommen bei den Antworten auf Fragen dann plötzlich Sachen, die man nicht erwartet hat.

58:53

Ricardo Viviani:

Nach Ahnen wird die Arbeit an dem Film gemacht. Wir sind am Ende der 80er Jahre. Hast du bei Die Klage der Kaiserin mitgewirkt? Wie war das?

Bénédicte Billiet:

Ja, bei Die Klage der Kaiserin habe ich die Arbeit gemacht wie in den anderen Stücken bzw. es war die gleiche Arbeit, also Frage und Antwort. Leider waren alle meine Ideen nicht so besonders und ich bin nicht im Film zu sehen beziehungsweise ich bin einmal zu sehen. Ich bin in dem Kleid von Malou in Walzer und ich schlage ein Rad. Man sieht ein blaues Kleid in dem Film und das bin ich. Aber das ist alles. Und das war kurz bevor ich nicht mehr in der Kompanie getanzt habe.

4

Kapitel 4.1

Sabbatjahr
1:00:00

Ricardo Viviani:

Kannst du uns davon erzählen? Was hat dich motiviert oder was ist passiert?

Bénédicte Billiet:

Ich war irgendwie müde vom Auf-die-Bühne-Gehen. Ich habe mit meinem Mann entschieden, ein Jahr wegzugehen. Er hat als Lehrer ein Sabbatjahr beantragt und ich habe Pina gefragt, ob ich für ein Jahr weggehen dürfte. Das hat sie zugesagt. Wir haben in Berlin ein Jahr lang gelebt. Diese Zeit war unglaublich! In diesem Jahr ist die Berliner Mauer gefallen. Als wir die Nachricht kriegten, waren wir gerade in Berlin angekommen. Wir sind direkt an die Mauer gegangen, haben da drauf gesessen und uns riesig gefreut. Da waren so richtig ein paar Gnadentage, an denen sich jeder anguckte, sich anlächelte. Das wurde schnell anders, aber am Anfang war richtig supertoll. Nach einem Jahr in Berlin habe ich Pina gefragt, ob ich zurückkommen dürfte. Sie hat zugesagt und mir angeboten, als Assistentin bei ihr zu arbeiten ist. Ich habe das angenommen. Ich denke, ich hatte alles gegeben, was ich als Darstellerin geben konnte. Mehr konnte ich vielleicht nicht. In jedem Fall bin ich Assistentin geworden und habe ein Jahr neben ihr gesessen, immer mit dem Video und Sachen geschrieben … Es war eine sehr, sehr faszinierende Zeit, neben ihr zu sein, wenn sie gerade ein Stück kreierte … Ich habe Kinder bekommen nach einem Jahr, zwei Kinder – Mathieu und Sofia. Als Sofia zwei Monate alt war, bin ich wieder zur Arbeit gegangen und habe wieder als Assistentin gearbeitet. Mit Pina als Assistentin zu arbeiten, das war eine Lebensaufgabe, da existierte die Zeit nicht mehr. Ich fand es faszinierend, aber ich habe das nicht leben können. Ich konnte mich nicht teilen zwischen meiner Familie und der Arbeit. Infolgedessen bin ich krank geworden und dann habe ich einfach gekündigt, weil ich das wirklich nicht machen konnte. Es ging über meine Kräfte und meine Entscheidung für meine Kinder und meinen Mann war klar. Ich habe dann zehn Jahre lang meine Kinder großgezogen, mit meinem Mann gelebt. Ich bin sehr dankbar für diese Zeit. Nach zehn Jahren habe ich gefühlt, dass es an der Zeit wäre, wieder ins Arbeitsleben zu gehen. Ich hatte das Gefühl, sonst schaffe ich es nicht mehr, das wird nicht mehr gehen. Zufälligerweise … Gerade in diesem Moment hat Pina mich gefragt, ob ich bei Kontakthof für Senioren und Jugendliche helfen würde.

1:04:41

Ricardo Viviani:

Ihr habt ja in Wuppertal gelebt, oder? Hast du die Arbeit verfolgt? Hast du die Premieren angeschaut? Hast du eine Entwicklung gesehen oder etwas, das aus der Distanz zu beobachten war? Da waren Stücke wie "Madrid" [Tanzabend II], Das Stück mit dem Schiff, Trauerspiel, Danzón. Wie war das?

Bénédicte Billiet:

Als ich weg gewesen bin, habe ich Distanz gewonnen, das ist ja klar. Da konnte ich sehr viel verstehen. Während der Arbeit gab es immer viele Frustrationen. Aber ich konnte Pina viel besser verstehen, als ich diese Distanz hatte, besser verstehen, warum sie so reagiert oder warum sie das so macht. Während der Arbeit war es manchmal … aber dann konnte ich alles richtig mit Ruhe betrachten und im Reinen mit ihr und mit mir selbst sein. Und bei den Stücken? Klar, das ist unglaublich, wie Pina sich entwickelt hat bei 48 oder 42 Stücken, wie sich das verändert hat. Gerade in der Zeit, als ich weggegangen bin, war die Zeit, in der man anfing wieder zu tanzen. Vorher haben wir nicht so viel getanzt. Dann fing es an, dass der Tanz viel mehr zelebriert wurde und leichter wurde …

Ricardo Viviani:

Hast du Unterricht gegeben?

Bénédicte Billiet:

Ich kann das nicht. Ich würde so gerne, aber ich kann das nicht. Um Unterricht zu geben, muss man konsequent sein. Ich kann nicht sagen, mach es noch mal, das ist nicht gut genug, mach es normal. Das kann ich nicht.

Ricardo Viviani:

Aber als Assistentin muss man das, oder?

Bénédicte Billiet:

Ja, das ist wahr. Ich habe Proben geleitet, aber meistens nicht allein, weil ich das nicht kann. Diese vielen Leute da vor mir, das ist zu viel. Obwohl ich so viel zu sagen hätte, denke ich manchmal, aber das kann ich nicht.

5

Ricardo Viviani:

Nach einigen Jahren weg von der Kompanie kam das Angebot von Pina Bausch, den Prozess von Kontakthof. Mit Damen und Herren ab „65“ zu begleiten. Hast du einen Überblick, wie das Projekt überhaupt entstanden ist?

Bénédicte Billiet:

Man sagt, dass Pina gesagt hätte, als sie Kontakthof gemacht hat damals, dass sie gerne das Stück mit ihren eigenen Tänzern und Tänzerinnen sehen möchte, wenn die alle alt geworden sind. Klar, bis man alt wird, dauert es sehr lange. Ein Tänzerkörper wird vielleicht anders alt als andere Körper. In jedem Fall hat das nicht stattgefunden, aber dieser Wunsch war wahrscheinlich in Pina sehr stark. Ich kann nicht sagen wie, aber es kam diese Idee, das Stück mit älteren Amateuren oder Leuten, die vielleicht nie getanzt haben, zu machen. So ist es entstanden. Am Anfang haben Jo Ann Endicott, Beatrice Libonati und Hans Pop das Stück rekonstruiert mit den älteren Leuten. Irgendwann konnte Hans Pop es nicht mehr machen und deswegen hat Pina gefragt, ob ich es mit Beatrice und Jo das machen würde, als Abendleitung am Anfang. Das heißt, da zu sein und zu gucken, dass alles da ist und so weiter. Später habe ich dann weitergemacht nur mit Jo Ann Endicott. Für das Projekt Kontakthof. Mit Teenagern ab „14“ mit Jugendlichen, haben wir, Jo Ann und ich, das Stück auch rekonstruiert.

Kapitel 5.2

Archiv
1:11:06

Ricardo Viviani:

In dieser Zeit kam eine andere Aufgabe auf dich zu und das war die Dokumentationsarbeit.

Bénédicte Billiet:

Ja, das war ungefähr in der Zeit. Pina hatte schon seit einiger Zeit die Idee oder den Wunsch, ein Archiv zu gründen, und hatte auch bereits nach Orten gesucht. Als sie richtig anfangen wollte, hat sie alle Mitarbeiter versammelt und gebeten, dass jeder von uns in seiner Abteilung alles sammelt, was es zu einem Stück gab, also zu allen Stücken. Zum Beispiel nehmen wir das Stück "Gebirge", dass alle Plakate gesammelt werden. Was das Archiv der Pina Bausch Foundation jetzt macht. Aber sie hat da schon angefangen, dass wir uns darum kümmern. Jo Ann und ich waren verantwortlich für die Sichtung von Videos. Da haben wir viele Stunden verbracht, um anzufangen Videos zu gucken. Pina kam manchmal vorbei und sagte: „Ihr nehmt viel zu viel Zeit.“ Also, vielleicht hatte sie wirklich das Gefühl, das muss jetzt schnell geschehen. Mit Jo Ann haben wir geguckt, wir haben uns manchmal so amüsiert oder im Gegenteil: „Oh mein Gott, ist das schrecklich, wie ich da bin.“ Oder so weiter. Also wir haben uns sehr viel ausgetauscht und zusammen geguckt. Und das fand Pina nicht gut, weil sie wollte, dass es schnell geht. Sie sagte: „Sucht, was schön ist, aber verliert keine Zeit. Was nicht schön ist, ist nicht schön.“ Sie war da ein bisschen radikal.

Ricardo Viviani:

Was ist schön?

Bénédicte Billiet:

Was ist schön? Das hat sie nicht erklärt. Ich denke, ich kann etwas schön finden und Pina würde es nicht schön finden.

Ricardo Viviani:

Hat ihr ein System entwickelt, welche Videos dann ausgesondert und welche als wertvoll eingestuft wurden?

Bénédicte Billiet:

Ja, wir hatten ein System, aber am Anfang haben wir ganz naiv einfach ein Video nach dem anderen angeschaut und aufgeschrieben, was wir dachten. Später, als die Arbeit mit der Foundation angefangen hat, haben wir mit Barbara Kaufmann ein System entwickelt. Ich glaube, das hatten wir vorher nicht, ich weiß nicht mehr. Dieses System mit farbigen Punkten: Also, rot war ein Video, das unmöglich war – eher von der Qualität des Bildes, man sah gar nichts. So ein Video braucht man nicht anzugucken. Gelb war „naja“ und blau war wirklich wertvoll. Das erlaubte, sich eher zu konzentrieren auf die guten Videos. Manche Videos waren gut, um sie zu zeigen. Manche Videos waren gut für die Arbeit, aber nicht unbedingt, um gezeigt zu werden. Das ist relativ kompliziert gewesen durch dieses System.

Ricardo Viviani:

Unter anderem hast du auch die Abläufe aufgeschrieben. Wie ist man zu diesen Informationen gekommen? Was musstest du recherchieren oder nachfragen?

Bénédicte Billiet:

Als es mit der Pina Bausch Foundation anfing, haben wir auch mit Marc Wagenbach gearbeitet. Er hat auch viel geholfen bei der Systematik. Das sind Aufgaben, die ich mir selbst gegeben habe, glaube ich. Die Stücke haben sich entwickelt beziehungsweise nach einer Weile hat Pina manche Szenen 'rausgenommen oder manchmal die Reihenfolge ein bisschen geändert. Um diese verschiedenen Videos in ein System zu bringen – jetzt kann man Videos online gucken, zum Beispiel gibt es Palermo Palermo online. Der Weg dahin war zu gucken, wie kann man das archivieren und mit welchen Informationen?

Ricardo Viviani:

Wie ist die Auflistung der Reihenfolge bei den unterschiedlichen Stücken dazugekommen?

Bénédicte Billiet:

Ja, es gab die Idee, dass man beim Digitalisieren der Videos die Szenen benennt, so dass man eine Szene abrufen kann. Die Basis bildeten – wir haben uns viel mit Barbara ausgetauscht – die Titel von Pina. Sie hat in ihren Stücken jeder Szene einen Titel gegeben, meistens war es die Frage, die gestellt wurde. Wir haben diese Titel als Basis für die Reihenfolge genommen und dann die Videos gesichtet. Ich habe eine Liste erstellt von den Titeln und die Videos von diesem Datum bis zu diesem Datum haben diese Reihenfolge. Dann ab diesem Datum hatte Pina etwas geändert, eine Szene ’rausgenommen zum Beispiel, und so habe ich eine neue Reihenfolge gemacht für das Stück und das bis 2009. So sind diese Reihenfolgen entstanden als Basis für die Digitalisierung und Abrufbarkeit der Szenen.

Kapitel 5.4

Regiebücher
1:19:10

Ricardo Viviani:

Richtig. Aber es gab auch die gesamten Bücher mit den ganzen Materialien zu den unterschiedlichen Stücken.

Bénédicte Billiet:

date, not the piece

Ricardo Viviani:

Dann sprechen wir jetzt über die Zeit zwischen 1999 bis 2009. Sind da noch besondere Erinnerungen? Die Arbeit in den 2000er Jahren ist ein bisschen anders geworden vom Charakter her als in den 90er Jahren.

Bénédicte Billiet:

Ja, ich bin 2001 wieder gekommen wegen Kontakthof. Am Anfang war ich nur für Kontakthof da, dann habe ich angefangen mit dem Archivieren von Videos, dann habe ich alle diese Listen geschrieben. Eigentlich bin ich gar nicht mehr in der Lichtburg gewesen. Ich bin nicht bei der Entstehung von Stücken gewesen. Vollzeit habe ich nur zwei Jahre, bevor Pina starb, wieder gearbeitet. Also ich war nicht immer da, ich habe mehr von draußen geguckt.

Ricardo Viviani:

Bevor wir zum Schluss kommen, gibt es noch etwas aus deiner Erfahrung nach all diesen Jahren der Arbeit und Beobachtung, das wir noch nicht angesprochen haben?

Bénédicte Billiet:

Ich bin wieder gekommen wegen Kontakthof. Das war der Grund, warum ich wieder angefangen habe. Es war gerade die Zeit, in der ich dachte, ich müsse jetzt wieder ins Arbeitsleben kommen, sonst schaffe ich das nie mehr. Und dann fragte Pina, ob ich bei Kontakthof helfen würde. Unglaublich, so treu von Pina, unglaubliches Glück. Dann habe ich das gemacht. Erst mal mit Beatrice Libonati, Jo Ann Endicott und Hans Pop, irgendwann nur noch mit Jo Ann. Es war ein Lernprozess. Ich habe fast nur im Team gearbeitet und es ist ein Lernprozess, mit jemandem so eine Leitungsarbeit zu machen. Als ich allein mit Jo war, haben wir etwas Zeit gebraucht, um uns zu finden, und irgendwann haben wir ein fast perfektes Team gebildet. Es war klar, wer welche Position hat, und wir haben uns wunderbar ergänzt und haben Kontakthof. Mit Teenagern ab „14“ weitergemacht mit Jugendlichen. Dann haben wir bei Stücken wie Arien, Die sieben Todsünden und so weiter zusammengearbeitet, bis ich dann in Rente gegangen bin. Das ist jetzt passiert, ich bin in Rente jetzt. Ich arbeite nicht mehr. Aber wir haben so super schön gearbeitet, ganz viel Zeit mit den Vorbereitungen verbracht. Ich habe ganz viel gelernt, weil das ältere Stücke waren, bei denen ich mitgearbeitet habe, und viele Sachen, die ich nicht gewusst habe. Und es war ganz toll zu sehen, dass man immer wieder etwas lernen kann über diese Stücke. Die haben noch nicht all ihre Geheimnisse offenbart und das fasziniert mich. Auch, dass Pina mir damals so vertraut hat für Kontakthof zum Beispiel. Weil ich sollte nicht das Licht gestalten, das kann ich in keinem Fall, aber mitgucken mit dem Beleuchtungsmeister: „Ist das so richtig oder wollen wir ein bisschen weniger? Oder wie ist es denn?“ Und das fand ich unglaublich, dass Pina mir das zugetraut hat. Ich glaube, ich war mehr so ein Hexenlehrling. Ich habe gar keine Ahnung gehabt am Anfang und peu à peu ein bisschen mehr gelernt. Das war eine super tolle Erfahrung.

Ricardo Viviani:

Zwei Sachen: Ein perfektes Team. Wie sieht das aus?

Bénédicte Billiet:

Also ein perfektes Team ist, wenn jeder den anderen respektiert … Jeder hat seine Fähigkeiten: Der eine kann vielleicht besser vermitteln, der andere kann besser beobachten oder Informationen bringen. Der andere kann mehr zusammentun. Ja, und wir haben das zusammen geschafft.

6

Kapitel 6.1

Repertoire
1:27:01

Ricardo Viviani:

Dieses breite Repertoire hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Es hat zu verschiedenen Zeiten euer Leben beschrieben, euer Suchen. Die Stücke tragen Geheimnisse in sich. Sind sie noch relevant?

Bénédicte Billiet:

Es gibt kein Stück, bei dem ich gedacht habe: „Das ist jetzt altmodisch, das kann man nicht mehr spielen.“ Ich finde, es gibt immer Momente in Stücken, bei denen man ganz an die heutige Situation andocken kann. Wahrscheinlich, weil es oft einen Moment gibt, in dem vielleicht gerade eine Katastrophe passiert – also, es wird nicht platt dargestellt. Ein anderer Moment, wo jemand nach Liebe schreit, an anderer Moment, wo jemand gepiesackt wird und so weiter. Das ist so menschlich und das findet man überall immer noch heute. Man muss nicht sagen, das ist der Krieg von so und so, das ist die Pandemie von so und so. Alle unsere menschlichen Emotionen kann man in diesen Ereignissen finden und in den Reaktionen. Ich staune sehr oft, wie aktuell das ist.

1:28:59

Ricardo Viviani:

Zum Schluss lass’ uns zurückblicken mit der Frage: Was ist Tanztheater? Im Bezug zum Tanztheater in deiner Beziehung zu Pina Bausch und im Bezug zu deinem Leben.

Bénédicte Billiet:

Was ist Tanztheater? Kann ich nicht sagen. Es gibt viele verschiedene Tanztheater. Ich kann nur über meine Arbeit mit Pina sprechen. Ich habe schon lang mit dem Tanztheater gearbeitet, aber im Vergleich zu anderen Tänzer gar nicht lange. Ich war nur neun Jahre Tänzerin und nur acht Jahre Assistentin und auch nicht Vollzeit, bis Pina starb. Es ist aber trotzdem der wichtigste Teil in meinem Leben. Das hat mein Leben sehr geprägt, sehr bestimmt. Was für mich die Arbeit von Pina ist, was ich da gelernt habe, geschätzt habe, ist die Integrität, also wie man an etwas arbeitet oder wie man ist, wie man auf der Bühne steht, diese Suche nach der vollen Integrität. Richtig da zu sein und immer wieder nachzufragen: „Was ist das, was ich mache?“ Das heißt nicht, dass ich das mache. Ich bin ein Mensch und bin wie alle immer am Suchen und Versuchen. Aber das ist für mich die Identität dieser Arbeit. Es ist nicht, ob ich eine Bewegung so mache oder so mache. Es ist mehr diese Suche, sich etwas vorzustellen und zu machen. Was ich mir wünsche, ist, dass das Tanztheater von Pina Bausch diese Identität behält, eine bestimmte Art zu suchen, und die Antwort, die Pina besonders oft benutzte, bei der wir damals immer wieder gefragt haben: „Was? Was ist dieses Wort?“ Am Anfang haben wir nur Deutsch gesprochen, aber wir konnten kein Deutsch, und dann kam immer dieses Wort: Sehnsucht. Für mich ist es das Schlüsselwort: die Sehnsucht. Also ich finde, wenn es das nicht gibt, dann ist es nicht das Tanztheater. Also, das ist die Basis: die Sehnsucht. Für mich.



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