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Landschaften, klar und detailliert wie Filmszenen. Erde, Sand, Wasser, Lehm, Nelkenfelder. Eine Mauer stürzt in Trümmern zu Boden. Auf der Bühne ragt ein Berg roter Blütenblätter empor, in die man eintauchen, in denen man sich treiben lassen und untertauchen kann. Auf dem Gelände drohen Risse, wie bereits geschehene oder noch bevorstehende Katastrophen. Ein riesiges Schiff liegt auf einer Welle aus Sand – nach einem Schiffbruch? Ist es auf Klippen aufgelaufen, die einen Strand überragen? Ein feuchter und bewaldeter Mantel der Natur umfängt uns wie eine ideale Landschaft. Ein geheimnisvolles und melancholisches Universum wird von einer riesigen Walflosse beherrscht. Es ist Zeit der Fabeln. In einem weißen Kosmos fällt Schnee in großen Flocken auf die Bühne und verleiht den Schritten der Tänzer eine lautlose Leichtigkeit. Eine ängstliche Menschheit schart sich um den Krater eines Vulkans.

Intensität des Dialogs mit dem Raum. Erwartung, Gefahr, Ungewissheit, das Spiel der Körper über Abgründen. In den Bühnenwelten, die Peter Pabst viele Jahre für Pina Bausch erschaffen hat, gibt es immer Wahrheiten und Provokationen. Die Atmosphäre ist lebendig, dynamisch und schillernd, sie hat die Fähigkeit, Begegnungen zwischen Räumen, Dingen und Wahrnehmungen der Tänzer des Tanztheaters Wuppertal zu bestimmen. Es sind Welten, die in ihrer Fähigkeit, sich zu entwickeln und zu verändern, den Tänzern eine Reihe neuer Erfahrungen bieten. Realitäten, die uns normalerweise außerhalb des Theaters umgeben, finden sich auf der Bühne und regen die Fantasie an: Hindernisse, konkrete Gegenstände und natürliche Elemente. Alles fordert den physischen Einsatz und das Empfindungsvermögen der Tänzer. Sie beflügeln und hindern die Tänzer. Das Wasser bläht die Kleider auf und erschwert die Tanzbewegungen, die Erde kann eine Wegstrecke schwierig gestalten, der Lehm klebt an den verschwitzten Körpern, der Sand lässt die Schritte der Tänzer einsinken, die Bühne voller zerbrochener Mauersteine kann sie stolpern lassen. Und alles kann sich verändern. Die Berge aus Erde zerbröckeln, die Mauer stürzt ein, die Nelken werden zerdrückt und ihre Stiele zerknicken.

In den Bühnenlandschaften von Peter Pabst steckt der Atem des Lebens, sein Herzschlag, sein Pulsieren, genau wie im Theater von Pina Bausch. Alles regt Fragen an, erweckt Bilder, beschwört Assoziationen herauf. Nicht zufällig sammelt Pabst Ideen und Anregungen „in der Entstehung“ des Stücks, indem er den Proben der Tänzer des Tanztheaters Wuppertal beiwohnt, die Entwicklung der Vorstellung verfolgt und sich an die verschiedenen Orte der Welt begibt, an denen jeweils das Zusammensetzen stattfindet. Ein stimmungsvolles Universum entsteht und wächst parallel zur Entwicklung des Stückes, es übernimmt die Orientierungen und die verschiedenen Passagen aus dem Stück und erhält durch die enge Beziehung mit der Aufführung seine Charakteristik.

In diesem Sinne hat jedes Stück von Pina Bausch einen, in einer Art Fusion, eng und strikt an das jeweilige Bühnenbild gebundenen Charakter. Aus diesem Grund pflegt das Publikum zu sagen, dass das Stück Palermo Palermo das Stück mit der Mauer ist, dass Ahnen das Stück der Kakteen ist und so weiter. Der Bühnenraum und die Atmosphäre, die durch ihn entsteht, sind Identitätsmerkmale des Stückes und nicht „einfach nur“ dessen Einrahmung. Niemals gibt es etwas Oberflächliches, Aufgesetztes, Skizzenhaftes oder nur Schmückendes in den Bühnenlandschaften von Pabst. Immer haben sie eine Dynamik und Lebendigkeit, die vollkommen mit dem Stück verschmelzen. Sie schaffen unverzichtbare Strukturen und Räume.

Das Bühnenbild für Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört besteht aus einer weichen, dicken Erdschicht, wie ein frisch gepflügtes Feld. Es beschränkt sich nicht darauf, eine Welt zu reproduzieren, es erschafft sie und gibt so der Aufführung eine präzise geografische und geologische Konnotation.

In Two Cigarettes in the Dark ist ein riesiger weißer Raum auf der Bühne. Sein strahlendes Weiß gleicht perspektivische Unebenheiten aus und lässt Ecken und Formen aus unserer Sicht verschwinden. Drei große rechteckige Fenster teilen die Wände: Ein Aquarium mit echten Fischen befindet sich in der linken Wand, ein Gewächshaus mit Kakteen sticht auf der rechten Seite hervor, ein üppiger und sattgrüner Dschungel hebt sich auf der Rückwand ab. Die Aufführung vervielfältigt die Ebenen der Vision und der Erzählung und begleitet uns dabei, wie durch die Fensterscheiben, die uns im Bühnenbild geboten werden, lebendige und pulsierende, sehr wirklichkeitsgetreue Ausblicke zu erspähen.

Palermo Palermo, der Vorhang geht auf. Eine Mauer verschließt das gesamte Portal. Augenblicke später stürzt sie mit ohrenbetäubendem Krachen und Beben ein. Die Steine bleiben dort, auf chaotische Weise verstreut, während des gesamten Stückes liegen: Erinnerungen oder Projektionen der unvollendeten Gebäude oder der Skelette entstehender Häuser, wie Wucherungen einer Krankheit, auf dem Landstreifen, der Palermo mit Bagheria verbindet.

Die außergewöhnlichen Bühnenbilder von Peter Pabst sind eine Einladung, über das Offensichtliche hinaus zu schauen. Es sind einzigartige, originale Orte, gleichzeitig mythisch und äußerst aktuell, die Fantasie und Realität vereinen und die es authentisch verstehen, unsere Sinne und Gefühle anzuregen.

Leonetta Bentivoglio war Leiterin des Tanzressorts bei "La Repubblica". Übersetzung aus dem Italienischen: Lincoln Giles/align media (2010).


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