Pinas 1978er TV-Aufzeichnung "Das Frühlingsopfer"
Das Frühlingsopfer
| Musik | Igor Stravinsky |
| Choreografie | Pina Bausch |
| Bühnenbild und Kostüme | Rolf Borzik |
| Mitarbeit | Hans Pop |
Tanztheater Wuppertal Pina Bausch
Eine Produktion des ZDF
| Licht | Pitt Kulbach |
| Kamera | Michael Hopf |
| Technische Leitung | Kurt Schroedter |
| Bildregie | Gerhard Hennig |
| Ton | Christian Slotty |
| Aufnahmeleitung | Uwe Petersen Jens Ohlenbusch |
| Produktionsleitung | Hans Stürzer Horst Müller |
| Redaktion | Harro Eisele |
| Regie | Pit Weyrich |
Aufgezeichnet im Studio Hamburg
Eine Produktion des ZDF
© 1978 ZDF, Mainz
Music
The Rite of Spring
written by Igor Fedorovich Stravinsky
performed by Pierre Boulez and The Cleveland Orchestra
℗ 1970 Sony Music Entertainment
Courtesy of Sony Music Entertainment Germany GmbH
© Copyright 1912, 1921 By Hawkes & Son (London) Ltd.
With kind permission of Boosey & Hawkes Bote & Bock GmbH, Berlin
Pinas Frühlingsopfer von Innen
Ich werde nie und never den ersten Gesamtdurchlauf bei den Proben zu Frühlingsopfer vergessen. Pina hatte das Solo der ‚Auserwählten' bis dahin immer extra probiert – eigentlich in ihrem Büro.
Keine von uns anderen ahnte, wie sie sich zu Tode tanzen sollte. Damals war es Marlis. Das Stück lief, wir waren alle verschwitzt und außer Atem, der ganze Raum hat gebebt, und wir standen und guckten zu, wie Marlis gegen den Tod kämpfte. Unglaublich, ich konnte kaum zusehen vor Angst. Ich dachte, sie stirbt wirklich. Ich musste allein an der Vorderseite der Bühne herumgehen. Meine Füße waren wie Blei. Mein Blick nur auf Marlis gerichtet. Zum Schluss fiel sie auf die Erde und war tot. Weiß man, ob sie nicht wirklich tot ist? Ich konnte es nicht ertragen und rannte heulend raus, so unglaublich war das. Ja, Frühlingsopfer ist wirklich einmalig.
Ein paar Jahre später durfte ich diesen gewaltigen Tanz selbst tanzen. Das war schwer für mich, ich stand zu leichtfüßig in der Erde. Ich merkte, dass Pina nicht begeistert war von meiner ,Auserwählten‘. Ich auch nicht. Durch meine klassische Ausbildung waren meine Bewegungen zu leicht. Das Leichte musste weg. Alle Bewegungen down, down, down, nicht wie im klassischen Tanz up.
Das Solo war nicht anstrengend genug für mich, ich war zum Schluss nicht wirklich tot. Ich musste die Bewegungen viel, viel, viel größer machen, ich musste mehr kämpfen, mich so weit strecken, bis ich nicht mehr konnte. Die eigene Grenze überschreiten. Die Schritte und den Tanz vergessen. Nur auf die Musik hören – total vereint mit Strawinsky und dem Kampf mit dem Tod. Du musst sterben. Kein ‚Sterbender Schwan‘ sein. Ein gigantisches Gefühl für jede von uns, die Frühlingsopfer je getanzt hat. Dabei zu sein, ob als ‚Auserwählte‘ oder in der Gruppe, es ist gigantisch. Allein schon in der Erde zu tanzen, sich hinzulegen, die Erde zu spüren, weich und geräuschlos. Zu hören, wie die anderen atmen, spüren, wie der Körper zittert, fühlen, wie der Körper schwitzt und dreckig wird, die Angst der anderen aufzunehmen, die totale Enge in der Gruppe, Körper an Körper. Jeder muss seine eigene Grenze überschreiten. Erst dann ist es richtig. Eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn wird die Erde, die die ganze Bühne bedeckt, sorgfältig kontrolliert. Sie darf nicht zu nass sein (Ausrutschen) und auch nicht zu trocken (Staub und Reizhusten). Wenn die Erde zu trocken war, hatte ich noch wochenlang Husten.
Auszug aus
Ich bin eine anständige Frau, Suhrkamp Verlag (Berlin), 1999.




